Was tun mit der inneren Handbremse?

„Eigentlich müsste ich jetzt handeln" – ein Satz, den ich in meiner Coaching-Praxis immer häufiger höre. Da sitzt mir eine erfahrene Führungskraft gegenüber, die alle äußeren Voraussetzungen für einen beruflichen Wechsel geschaffen hat: Der Lebenslauf ist aktualisiert, das LinkedIn-Profil optimiert, die Situation rational durchdacht. Und trotzdem passiert – nichts. Als würde eine unsichtbare Kraft jede Bewegung nach vorn blockieren. „Es ist wie eine innere Handbremse", beschreibt es ein Klient treffend.

Ein typisches Beispiel aus meiner aktuellen Praxis:

Ein erfahrener Manager in herausgehobener Führungsposition, der bereits viele Jahre verschiedene herausfordernde Rollen erfolgreich gemeistert hat. Doch irgendwo hat er das Gefühl, dass es nicht mehr recht weitergeht. Die Umgebung hat sich verändert – andere Vorstände, eine andere Agenda – und plötzlich stellt er fest, dass es für ihn nicht mehr „läuft". Zusätzlich lebt die Familie hunderte Kilometer entfernt, und das wöchentliche Pendeln, das bisher gerne in Kauf genommen wurde, wird zunehmend zur Belastung.

Rational betrachtet ist die Entscheidung längst gefallen. Alle äußeren Faktoren sprechen für eine berufliche Neuorientierung. Doch aus unerklärlichen Gründen kommt er nicht ins Handeln. Diese innere Handbremse blockiert jeden Schritt nach vorn.

Die verborgenen Widerstände verstehen

Bevor die inneren Motive nicht wirklich und ehrlich erkannt und benannt sind, wird diese innere Handbremse jeden Schritt blockieren. Denn sie ist nicht einfach nur Trägheit oder Bequemlichkeit – sie ist meist ein Schutzmechanismus, der auf tiefer liegenden Ängsten, Überzeugungen oder unausgesprochenen Bedürfnissen basiert.

Die Kunst liegt darin, diese verborgenen Widerstände sichtbar zu machen und sich selbst gegenüber transparent zu werden. Hier sind drei bewährte Ansätze aus meiner Coaching-Praxis:

Ansatz 1: Die Angst-Landkarte erstellen

„Was ist das Schlimmste, was passieren könnte?"

Dieser erste Ansatz führt bewusst in die Konfrontation mit den eigenen Ängsten. Nehmen Sie sich einen ruhigen Moment und ein leeres Blatt Papier. Schreiben Sie in die Mitte: „Beruflicher Wechsel" und zeichnen Sie darum herum alle Befürchtungen, die Ihnen spontan einfallen. Seien Sie dabei schonungslos ehrlich – auch mit den vermeintlich „irrationalen" Ängsten.

- Angst vor dem Scheitern in der neuen Position

- Sorge um finanzielle Einbußen

- Befürchtung, dass die Fähigkeiten nicht mehr zeitgemäß sind

- Angst vor dem Verlust des beruflichen Status

- Unsicherheit über die eigene Marktfähigkeit

Schauen Sie sich Ihre Angst-Landkarte genau an. Welche Befürchtung löst die stärkste emotionale Reaktion aus? Das ist meist der Punkt, an dem die innere Handbremse am festesten zupackt. Jetzt können Sie beginnen, diese Angst zu hinterfragen: Ist sie berechtigt? Welche konkreten Schritte könnten Sie unternehmen, um das Risiko zu minimieren?

Ansatz 2: Der innere Dialog – Wer spricht da eigentlich?

„Das solltest du nicht riskieren" – aber wessen Stimme ist das?

Oft sind es nicht unsere eigenen Überzeugungen, die uns zurückhalten, sondern verinnerlichte Stimmen aus der Vergangenheit. Eltern, die Sicherheit über alles gestellt haben. Mentoren, die vor Risiken gewarnt haben. Gesellschaftliche Erwartungen, die sich in unser Denken eingenistet haben.

Führen Sie ein Gespräch mit Ihrer inneren Handbremse. Setzen Sie sich hin und schreiben Sie auf:

„Ich sollte nicht wechseln, weil..."

Schreiben Sie spontan alles auf, was Ihnen einfällt. Dann fragen Sie sich bei jedem Punkt: Wessen Stimme höre ich hier? Ist das meine eigene Überzeugung oder die von jemand anderem? Und: Ist diese Überzeugung heute noch gültig und hilfreich für mich?

Ein Klient erkannte so, dass er die Risikoaversion seines Vaters übernommen hatte, der seine gesamte Laufbahn bei einem einzigen Arbeitgeber verbracht hatte. Diese Erkenntnis war der Schlüssel, um seine eigene Risikobereitschaft neu zu bewerten.

Ansatz 3: Die Zukunfts-Retrospektive

„Wie werde ich in fünf Jahren auf diese Entscheidung zurückblicken?"

Dieser Ansatz nutzt die Kraft der Vorstellungskraft, um Klarheit über die wirklichen Prioritäten zu gewinnen. Versetzen Sie sich gedanklich fünf Jahre in die Zukunft und schauen Sie von dort auf zwei mögliche Szenarien zurück:

Szenario 1: Sie haben nicht gewechselt und sind in der unbefriedigenden Situation geblieben. Wie fühlt sich das an? Was haben Sie verpasst? Welche Fähigkeiten konnten sich nicht entwickeln? Wie hat sich das auf Ihr Selbstbild und Ihre Beziehungen ausgewirkt?

Szenario 2: Sie haben den Mut gefasst und gewechselt. Auch wenn nicht alles perfekt gelaufen ist – welche Erfahrungen haben Sie gemacht? Was haben Sie über sich gelernt? Wie hat sich Ihr Selbstvertrauen entwickelt?

Die meisten Menschen erkennen in dieser Übung, dass sie das Risiko des Handelns weit überschätzen und das Risiko des Nicht-Handelns völlig unterschätzen. Denn Stillstand ist in einer sich schnell verändernden Welt oft das größte Risiko von allen.

Die Handbremse lösen – aber wie?

Wenn Sie diese drei Ansätze durchgearbeitet haben, werden Sie wahrscheinlich feststellen, dass Ihre innere Handbremse deutlich schwächer geworden ist. Die bloße Tatsache, dass Sie die verborgenen Mechanismen verstehen, nimmt ihnen oft schon viel von ihrer Macht.

Der nächste Schritt ist bewusst klein zu halten: Definieren Sie eine einzige, konkrete Handlung, die Sie in den nächsten 48 Stunden durchführen können. Das kann ein Telefonat mit einem Headhunter sein, die Überarbeitung eines bestimmten Abschnitts in Ihrem Lebenslauf oder ein Gespräch mit einem Vertrauten über Ihre Situation.

Mut braucht Klarheit

In meiner Coaching-Arbeit erlebe ich immer wieder, wie befreiend es für Menschen ist, wenn sie ihre inneren Widerstände verstehen und benennen können. Die innere Handbremse ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein natürlicher Schutzmechanismus. Die Kunst liegt darin, zu unterscheiden, wann sie uns schützt und wann sie uns ausbremst.

Manchmal braucht es den Mut, die eigene Komfortzone zu verlassen – nicht weil der Sprung ins Unbekannte einfach ist, sondern weil das Verharren im Bekannten auf Dauer schmerzhafter wird als die Unsicherheit des Neuen.

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Wenn Sie sich in diesem Artikel wiedererkennen und professionelle Unterstützung beim Lösen Ihrer inneren Handbremse wünschen, laden ich Sie zu einem unverbindlichen Gespräch ein. Manchmal reicht schon ein vertrauensvoller Sparringspartner, um die entscheidenden Schritte zu gehen.

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